Aktuelles aus dem Tarifbereich
– September 2021 –
Mit Urteil vom 29. April 2021 (Az. 6 AZR 232/17) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass die bei der Stufenzuordnung anlässlich der Einstellung in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L vorgesehene, anders als in Satz 2 dieser Tarifnorm, auf die Stufe 3 begrenzte Anrechnung einschlägiger Berufserfahrungszeiten gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoße und unanwendbar sei, soweit die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer diese Erfahrung in einem vorherigen Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union und damit im Anwendungsbereich des Unionsrechts erworben hat.
Die vom AEUV in Art. 45 garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit soll gewährleisten, dass jeder Unionsbürger die uneingeschränkte Möglichkeit hat, seinen Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um sich zur Ausübung einer Tätigkeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten. Damit steht Art. 45 AEUV jeder nationalen Maßnahme entgegen, die geeignet ist, die Ausübung der durch diese Vorschrift verbürgten Grundfreiheit durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, so der Europäische Gerichtshof (EuGH). Eine nationale Regelung, die nicht alle in einem anderen als dem Herkunftsmitgliedstaat des Wanderarbeitnehmers zurückgelegten gleichwertigen Vordienstzeiten anrechnet, ist danach geeignet, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer unter Verstoß gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV weniger attraktiv zu machen und stellt damit einen Verstoß gegen EU-Recht dar.
Liegt ein solcher Verstoß vor, gilt der sogenannten Vorrang des Unionsrechts. Das innerstaatliche Recht ist unanwendbar, soweit es Unionsrecht beeinträchtigt.
Berufserfahrungen im EU-Ausland zählen voll
Solche Berufserfahrungen sind danach voll zu berücksichtigen. Dies gelte auch für etwaige Restzeiten.
Soweit die einschlägige Berufserfahrung ausschließlich in einem vorherigen Arbeitsverhältnis zu einem anderen inländischen Arbeitgeber erworben wurde, verbliebe es hingegen bei der Nichtberücksichtigung dieser Zeiten nach § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L, soweit sie über drei Jahre hinausgehen. Dieser differenzierten Behandlung sowohl innerhalb des § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L als auch im Verhältnis zu Satz 2 dieser Tarifnorm (Anrechnung von Zeiten beim selben Arbeitgeber erst ab mindestens einem Jahr) stünden weder Unionsrecht noch nationales Verfassungsgericht entgegen, so das BAG.
Das BAG hat sich damit vollinhaltlich der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens (EuGH vom 23. April 2020 – C-710/18) angeschlossen.
Entscheidung ist zu berücksichtigen
Mit FMS vom 25. August 2021 bittet das Bayerische Staatsministerium der Finanzen und für Heimat darum, in seinem Bereich allgemeine Schlussfolgerungen aus dieser Entscheidung zu ziehen und künftig entsprechend zu verfahren.
Soweit bisher anders verfahren wurde, bleibt die bestehende Eingruppierung unverändert. Es besteht aber die Möglichkeit, unter Bezugnahme auf das Urteil des BAG, einen Antrag auf Neufestsetzung der Stufe zu stellen. Diesem ist unter Beachtung der tariflichen Ausschlussfrist (sechs Monate, § 37 TV-L), frühestens jedoch ab 1. April 2021, zu entsprechen.
– Juli 2021 –
Im Zuge der Tarifverhandlungen in 2019 gab es eine grundlegende Neuausrichtung der Eingruppierungsmerkmale für die Beschäftigten in der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT-Bereich), die seit 1. Januar 2021 in Kraft sind.
Insbesondere wurden z. B. die Heraushebungsmerkmale aus der jeweiligen Entgeltgruppe (EG) in die nächsthöhere EG durch die sogenannten „unbestimmten Rechtsbegriffe“ definiert. Dadurch kam es zu einer Reduzierung von 41 auf gerade noch 15 Tätigkeitsmerkmale.
IT-spezifische Tätigkeitsmerkmale können jetzt aus der ITIL (Information Technology Infrastructure Library) herangezogen werden. Die Rollen im ITIL sind eindeutig und klar definiert und können für die Arbeitsprozesse so zusammengestellt werden, dass aus unterschiedlichen Arbeitsabläufen eine feste Bewertung und eine klarere Zuordnung zum Grad der Verantwortung entsteht. Damit bilden eindeutig definierte IT-Rollen und Arbeitsabläufe die Grundlage für die Bewertung von Arbeitsprozessen.
Gemäß § 29f iVm. § 29d TVÜ-L bleiben Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis über den 31. Dezember 2020 hinaus fortbesteht, und die am 1. Januar 2021 unter den Geltungsbereich des TV-L fallen, für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit in der bisherigen Entgeltgruppe eingruppiert.
Ergibt sich in den Fällen nach den Änderungen in der Entgeltordnung zum TV-L eine höhere Entgeltgruppe, sind die Beschäftigten auf Antrag in die Entgeltgruppe eingruppiert, die sich nach § 12 TV-L ergibt. Der Antrag muss bis zum 31. Dezember 2021 der Dienststelle vorgelegt werden (Ausschlussfrist) und wirkt zurück auf den 1. Januar 2021. Anträge, die nach dem 31. Dezember 2021 gestellt werden, können nicht mehr berücksichtigt werden.
Aber Vorsicht: Im Falle einer Höhergruppierung fällt eine etwaig gezahlte Programmierzulage (23,01 €) gemäß § 29f Absatz 2 TVÜ-L mit dem Zeitpunkt der Höhergruppierung, d.h. rückwirkend zum 1. Januar 2021, weg. Auch findet nach Antragstellung eine „normale“ Höhergruppierung gemäß § 17 Absatz 4 TV-L statt. Daher muss darauf geachtet werden, ob bzw. welche Nachteile (z. B. Anrechnung auf den Strukturausgleich, Höhe der Jahressonderzahlung etc.) entstehen können.
Einladung zum Vorstellungsgespräch trotz überlaufendem Outlook-Postfach
Der Kläger bewarb sich mit einer E-Mail auf eine von einem öffentlichen Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle. Die Bewerbung war mit dem deutlichen Hinweis auf seinen Grad der Behinderung von 30 und seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen versehen. Obwohl der Kläger fachlich für die Stelle nicht offensichtlich ungeeignet war, wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
Gem. §165, 151 Abs. 1 SGB IX sind öffentliche Arbeitgeber dazu verpflichtet, schwerbehinderte bzw. diesen gleichgestellten Personen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn ihnen die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt. Das beklagte Land hat geltend gemacht, die Bewerbung des Klägers sei aufgrund eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen unter den befassten Mitarbeitern nicht in den Geschäftsgang gelangt. Dies widerlege jedoch nicht die Vermutung einer Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, so das BAG mit Urteil vom 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor Entscheidung über Gleichstellungsantrag
Eine Arbeitnehmerin mit einem anerkannten Grad der Behinderung von 30 beantragte die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen und teilte dies der Arbeitgeberin mit. Die Arbeitgeberin setze die Arbeitnehmerin in ein anderes Team um, ohne die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen. Etwa fünf Monate später stellte die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitnehmerin rückwirkend einem schwerbehinderten Menschen gleich. Hätte die Schwerbehindertenvertretung vor der Umsetzung angehört werden müssen?
Nach § 178 Abs. 2 Satz 1, 151 Abs. 1 SGB IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die Schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören.
Dies gilt jedoch nicht, wenn über den Gleichstellungsantrag noch nicht entschieden ist. Zwar wirkt die Gleichstellung nach § 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX auf den Tag des Eingangs des Antrags zurück. Eine Pflicht zur vorsorglichen Unterrichtung und Anhörung besteht jedoch nicht, BAG Beschluss vom 22. Januar 2020 – 7 ABR 18/18.
In den meisten Fällen kurieren wir eine Erkrankung innerhalb von sechs Wochen vollständig aus und die Arbeit kann wieder aufgenommen werden. Innerhalb der ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die unverschuldet erkranken, von ihrem Arbeitgeber ihr gewöhnliches Gehalt als Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall, § 3 EntgFG (Entgeltfortzahlungsgesetz).
Mit Urteil vom 11. Dezember 2019 (Az: 5 AZR 505/18) hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Arbeitnehmerin krankheitsbedingt arbeitsunfähig war und dem sich daran im engen zeitlichen Zusammenhang eine im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit anschloss.
Enthält dadurch die Arbeitnehmerin automatisch einen weiteren Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall? Das BAG weist in seinem Urteil darauf hin, dass maßgeblich ist, ob die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren Arbeitsverhinderung geendet hatte.
Denn wenn während der bestehenden Arbeitsunfähigkeit innerhalb der ersten sechs Wochen eine neue, auf einem anderen Grundleiden beruhende Krankheit auftritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt, sog. Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls, dann endet die Gewährung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach Ablauf der ersten sechs Wochen.
Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht allerdings dann, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit führte.
Gerade dies konnte die Klägerin jedoch nicht beweisen, so dass ihre Klage keinen Erfolg hatte.
Am 2. März 2019 erfolgte der Abschluss in der diesjährigen TV-L Einkommensrunde. Wie üblich schlossen sich der Tarifeinigung Redaktionsverhandlungen an mit dem Ziel, Detailfragen zu klären und die Grundsatzeinigung in Form von Änderungstarifverträgen umzusetzen. Ende Juli konnten diese Redaktionsgespräche erfolgreich abgeschlossen werden.
Garantiebeträge bei Höhergruppierung
So wurde vereinbart, dass die zum 1. Januar 2019 auf 100 Euro (bis EG 8) beziehungsweise 180 Euro (ab EG 9a) an gehobenen Garantiebeträge bei einer Höhergruppierung ebenso auf Bestandsfälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 2019 zu erstrecken sind. Hier erfolgt daher nicht lediglich eine Dynamisierung der bisherigen Garantiebeträge von 32,08 beziehungsweise 64,13 Euro. Vielmehr muss von Amts wegen eine Überprüfung und Erhöhung bis zur Höhe der neu vereinbarten Garantiebeträge erfolgen, allerdings begrenzt auf den Unterschiedsbetrag bei einer stufengleichen Höhergruppierung.
Überleitung in EG 9a
Die EG 9 TV-L war im Rahmen der Tarifeinigung in die EG 9a (bisherige „kleine“ EG 9) und 9b (bisherige „große“ EG 9) TV-L aufgespalten worden. Damit entfällt die vielfach in der Praxis zu Problemen führende Unterteilung zwischen der „kleinen“ und der „großen“ EG 9. Der Dissens zur automatischen Überleitung in die EG 9a rückwirkend zum 1. Januar 2019 konnte im Sinne der Beschäftigten gelöst werden. Die Klärung betriff die Zuordnung aus der Stufe 2 der bisherigen kleinen EG 9 mit mehr als 2 Jahren absolvierter Stufenlaufzeit in die Stufe 3 der EG 9a. Die Überleitung in die Stufe 3 hat unter Anrechnung auf die Restlaufzeit zu erfolgen.
Jahressonderzahlung
Ebenso geklärt ist die Tariftechnik zum Einfrieren der Jahressonderzahlung bis zum Jahr 2022. Es wird keine Unterschreitung des bisherigen materiellen Niveaus eintreten. Klar ist, dass ein zwischenzeitlicher Stufenaufstieg, eine andere Eingruppierung oder eine Änderung des Beschäftigungsumfangs auf die aktuelle Jahressonderzahlung einwirken und diese gegenüber dem Stand 2018 auch erhöhen können – schließlich sind die Monate Juli bis September immer des jeweiligen Jahres die Bemessungsgrundlage der jährlichen Sonderzahlung.
Tariftechnisch wird beim Einfrieren den für 2019, 2020 und 2021 in den Entgeltgruppen unterschiedlich hohen Anhebungen Rechnung getragen, die insbesondere ab der jeweiligen Stufe 2 aus den Mindestbeträgen herrühren. Die Mindestbeträge von 100, 90 sowie 50 Euro bewirken insbesondere in den Entgeltgruppen bis EG 8 in allen betroffenen Stufen überproportionale Steigerungen des Entgeltniveaus in 2019, 2020 und 2021 gegenüber dem Tarifstand 2018. Die nunmehr gefundene Tariftechnik sieht daher eine Unterteilung einmal in die EG 1 bis 4 sowie zum anderen in die EG 5 bis 8 vor. Bis zur Jahressonderzahlung 2018 waren die EG 1 bis 8 in einer Regelung zusammengefasst.
Entgeltgruppe 2Ü, SuE, IT, Tarifpflege
Bei den Tabellenentgelten für die EG 2Ü erhält Stufe 6 rückwirkend zum 1. Januar 2019 den höheren Betrag aus der Stufe 6 der EG 2 zugewiesen.
Um zum 1. Januar 2020 die erforderliche Transparenz für die verbesserte und antragslose Eingruppierung von Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst zu schaffen, stimmen der dbb und die TdL zeitnah eine entsprechende Zuordnungstabelle ab.
Für die zum 1. Januar 2021 anstehende und antragsabhängige Höhergruppierung von Beschäftigten in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IT) nach Maßgabe der dann in Kraft gesetzten Verbesserungen in der Entgeltordnung zum TV-L haben der dbb und die TdL eine Besitzstandsregelung zur Programmiererzulage vereinbart. Soweit Beschäftigte mit entsprechendem Besitzstand in Höhe von 23,01 Euro ihre Eingruppierung mit Wirkung zum 1. Januar 2021 nicht nach der verbesserten Entgeltordnung beantragen, bleibt der Anspruch darauf auch über den 31. Dezember 2020 hinaus bei unveränderter Tätigkeit bestehen. Bislang stand zum 1. Januar 2021 der ersatzlose Wegfall dieser Besitzstandszulage im Raum.
Die TdL hat schließlich neben Anliegen der Tarifpflege auch ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Verhandlungsaufnahme zu weiteren Tarifthemen erklärt. Dies betrifft die Sachverhalte einmal der Erhöhung des Samstagszuschlags im Bereich Krankenhäuser und Universitätskliniken von bislang 0,64 Euro auf 20 Prozent des Stundenentgelts der Stufe 3 sowie zum anderen die verbesserten Eingruppierungen im Bereich Straßenbau und -betrieb. Hierzu hat der dbb bereits entsprechende Vorlagen aus den aktuell noch andauernden Tarifverhandlungen mit der Autobahn GmbH des Bundes geschaffen.