Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Konstellationen die Alimentation von Beamten und Richtern (und Staatsanwälten) in Berlin und Nordrhein-Westfalen für Zeiträume vor 2016 für verfassungswidrig zu niedrig erklärt. Dabei hat es die in früheren Entscheidungen entwickelten Vorgaben zur Überprüfung der Angemessenheit der Alimentation weiterentwickelt und an die zwischenzeitlich veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst (BVerfG Az. 2 BvL 4/18; 2 BvL 6/17; 2 BvL 8/17; 2 BvL 7/17; 4. Mai 2020). Die Entscheidung zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen betraf speziell den Bedarf von Beamten mit mehr als zwei Kindern, der die Gerichte bereits seit Jahren beschäftigt.
Haben die Entscheidungen Auswirkungen für Bayern?
Die Entscheidungen beziehen sich zunächst nur auf die Richterbesoldung in Berlin und Nordrhein-Westfalen und auf Jahre vor 2016. Die dortigen Gesetzgeber haben bis spätestens 31. Juli 2021 verfassungskonforme Regelungen zu treffen.
Die festgestellten und bekräftigten grundgesetzlichen Anforderungen sind aber auch in anderen Bereichen zu berücksichtigen. Bayern liegt im bundesweiten Besoldungsvergleich mit an der Spitze. Allerdings wird auch hier die Besoldung in allen Bereichen anhand der weiterentwickelten Vorgaben zu überprüfen sein. Hierzu bedarf es allerdings umfangreicher Berechnungen (vgl. unten). Der BBB wird seine Mitglieder durchgehend auf dem Laufenden halten.
Sind jetzt Anträge zu stellen?
Grundsätzlich müssen Ansprüche aus zu niedrig bemessener Besoldung immer zeitnah, also im laufenden Haushaltsjahr geltend gemacht werden. So das Bundesverfassungsgerichts in langjähriger Rechtsprechung, da die Besoldung der Deckung eines gegenwärtigen Bedarfs diene. Und auch zeit-nah geltend gemachte Ansprüche unterliegen der dreijährigen Verjährung.
Finanzministerium sagt Korrektur von Amts wegen zu!
Der BBB hatte sich unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidungen mit dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat in Verbindung gesetzt. Gemeinsam konnte nun sehr schnell eine unbürokratische Lösung gefunden werden.
Das Finanzministerium wird – soweit sich verfassungsrechtlicher Korrekturbedarf ergibt – Nachzahlungen von Amts wegen rückwirkend zum Jahresbeginn leisten. Eine weitergehende Korrektur kommt in den Fällen in Betracht, in denen bereits zu einem früheren Zeitpunkt Anträge gestellt wurden, über die noch nicht rechtskräftig entschieden wurde, die also z.B. ruhend gestellt sind.
Es wird mit keinen Nachteilen verbunden sein, jetzt keinen Antrag zu stellen bzw. Widerspruch einzulegen. Anträge oder Widersprüche gegen die Höhe der Besoldung bringen im weiteren Verfahren auch keine Vorteile. Für das Jahr 2020 wird auf das Erfordernis der zeitnahen Geltendmachung verzichtet. Die anstehenden Berechnungen können also in Ruhe abgewartet werden.
Hintergründe:
Alimentationsprinzip: Das zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählende Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn, Richtern und Beamten sowie ihren Familien lebenslang einen Lebensunterhalt zu gewähren, der ihrem Dienstrang und der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung angemessen ist und der Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards entspricht. Dies stelle die innere Rechtfertigung für die (grundsätzlich) lebenslange Treuepflicht und das den Beamten auferlegte Streikverbot dar.
Angemessenheit: Ob die Bezüge evident unzureichend sind, wird anhand einer vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Gesamtschau verschiedener Kriterien in drei Schritten geprüft:
In einem ersten Schritt werden mit Hilfe von fünf Parametern Alimentationsstruktur und Alimentationsniveau ins Auge gefasst: Vergleich der Besoldungsentwicklung mit der Entwicklung der Tarifentlohnung im öffentlichen Dienst, des Nominallohnindex sowie des Verbraucherpreisindex, systeminterner Besoldungsvergleich und Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Länder. Dabei ist beim systeminternen Besoldungsvergleich auch in den Blick zu nehmen, ob der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist.
In einem weiteren Schritt sind die Ergebnisse zu werten: Werden mindestens drei Parameter der ersten Prüfungsstufe erfüllt, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation. Sind ein oder zwei Parameter erfüllt, muss eine eingehende Würdigung der Gesamtumstände ergeben, bei der es unter anderem auf das Maß der Über- bzw. Unterschreitung der Parameter ankommt.
Zuletzt ist zu prüfen, ob eine Besoldung, die grundsätzlich als Unteralimentation einzustufen ist, ausnahmsweise in dieser Höhe gerechtfertigt sein kann.
Mindestalimentation bei Familien mit mehr als zwei Kindern: Bei Familien mit Kindern geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Grundbesoldung so bemessen wird, dass sie zusammen mit den Familienzuschlägen den Bedarf einer „Zwei-Kinder-Familie“ deckt. Aber auch der Bedarf eines dritten und weiterer Kinder ist vom Dienstherrn zu decken. Ob dieser Bedarf ausreichend Berücksichtigung findet, beurteilt sich anhand eines Vergleichs mit den Leistungen der sozialen Grundsicherung. Da die Alimentation aber etwas qualitativ anderes sei als die Deckung eines äußersten Mindestbedarfs, sei von einem um 15% erhöhten Betrag auszugehen. Diese Berechnungsmethode diene nicht dazu, die angemessene Höhe der Alimentation zu ermitteln, sondern die Grenze zur Unteralimentation, so der Senat.
Das zur Bestimmung der Mindestalimentation herangezogene Grundsicherungsniveau umfasst alle Elemente des Lebensstandards, der den Empfängern von Grundsicherungsleistungen staatlicherseits gewährt wird. Dazu gehört auch der Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen.
Das Verwaltungsgericht Köln hatte die Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, da sich die sozialrechtlichen Vorgaben zur Ermittlung des Grundbedarfs gegenüber der ursprünglichen Rechtsprechung deutlich verändert hatten.
Neben diesen neuen im Rahmen der Vergleichsberechnung zu berücksichtigenden Leistungen stellte der Senat nun auch klar, dass es im Rahmen der Berücksichtigung von Unterkunft und Heizung auf die tatsächliche Höhe ankomme, da auch die sozialrechtlichen Vorschriften in der Regel hierauf abzielen und nur teilweise pauschale Berücksichtigung fänden.
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