Die Bürgerversicherung, die Forderung nach einer Einheits(kranken)versicherung für alle, ist alle paar Jahre wieder Thema in der öffentlichen Diskussion. Der BBB erteilt ihr eine klare Absage. Und das aus gutem Grund!
Zunächst einmal: Die Kombination aus Beihilfe und privater Absicherung durch eine Versicherungsgesellschaft gehört mit zum gewachsenen System des Berufsbeamtentums. Beihilfe ist Teil der Alimentation. Der Dienstherr, der – im Rahmen seiner Fürsorgepflicht – die Beihilfe leistet, steuert hier die Gesundheitsvorsorge seiner verbeamtet Beschäftigten. Über die private Versicherung decken Beamtinnen und Beamte in eigener Verantwortung die Restkosten ab. Wäre die Beihilfe geringer, müsste sich dies in der Besoldung niederschlagen. Bereits hieran zeigt sich der hohe Stellenwert, der dem Zusammenspiel zwischen Beihilfe und privater Absicherung einzuräumen ist.
PKV ist Teil des aktuellen Berufsbeamtentums
Dieses System funktioniert! Die Beschäftigten sind sich ihrer guten Versorgung bewusst und wissen sie zu schätzen. Das ist auch Teil der Anerkennung ihrer Leistungen. Und es ist Teil des Personalgewinnungskonzepts des öffentlichen Dienstes.
Aber dieses System ist auch kein Selbstzweck. Es ist unmittelbar verknüpft mit dem Bestehen der privaten Versicherungen (PKV) und dem gesetzlichen Versicherungssystem (GKV).
Wer mehr Menschen in das System der gesetzlichen Versicherung bringen will, dem muss klar sein, dass damit den privaten Versicherern ihre wirtschaftliche Grundlage in weiten Teilen entzogen wird. Ihnen fehlen Neuzugänge, die den langfristigen Kalkulationen zu Grunde liegen. Dem muss aber auch bewusst sein, dass die Privatunternehmen zahlreiche Aufgaben erfüllen, die die gute, umfassende und medizinisch fortschrittliche Versorgung im gesamten und speziell auch im gesetzlichen Versicherungssystem sicherstellen.
PKV sichert Standard der GKV
Etwa 8,73 Millionen Menschen sind privat versichert. Zum Vergleich: in der gesetzlichen Versicherung sind es 73,36 Millionen. Über 27 Millionen haben eine private Zusatzversicherung. Tendenz steigend. Aber trotz dieses geringen Anteils an allen Versicherten leisten die privaten Versicherer einen fundamentalen Beitrag zum Funktionieren des gesamten Gesundheitswesens.
Denn mit ihrem auf Angebot und Nachfrage fußenden System sind sie ständig gefordert. Sie müssen neue Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog aufnehmen und den Ansprüchen ihrer Kunden gerecht werden. Damit fördern sie den Wettbewerb im Angebot der Leistungen. Stehen sie nicht mehr neben der gesetzlichen Versicherung, muss sich der dortige Angebotskatalog nicht mehr an anderen Lösungen messen lassen. Wo der Wettbewerb fehlt, ist häufig Neuerungen und Service der Boden entzogen.
So sichert das Bestehen der privaten Versicherungen auch ein hohes Versorgungsniveau. Sie wirken als Motor für Innovationen, weil hier neue Methoden häufig frühzeitiger erstattet werden. Hier stehen keine Genehmigungsvorbehalte bei neuen/alternativen Behandlungsmethoden und keine Budgetgrenzen für Ärzte im Weg.
Über die geleisteten Honorare tragen sie zudem überproportional zur medizinischen Infrastruktur bei. Über 30 Prozent der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte befürchten, dass Praxen schließen müssen, wenn es weniger Privatversicherte gäbe und auch Physiotherapeuten und Hebammen wären gefährdet. Insgesamt flossen durch Privatversicherte 37,4 Milliarden ins Gesundheitswesen – 12,7 Milliarden mehr, als wenn sie gesetzlich versichert wären.
Das ist auch wichtig für die ländliche Versorgung. Denn hier fallen die Honorare besonders ins Gewicht.
Bürgerversicherung beeinträchtigt wertvolle Impulse
Auf das alles zu verzichtet, birgt erhebliche Gefahren für das Gesundheitssystem – für alle Versicherten. Das heutige System hat dafür gesorgt, dass die medizinische Versorgung in Deutschland einen weltweit anerkannten Status erreicht hat. Wer möchte auf die ständige Weiterentwicklung des Leistungskatalogs und die damit verbundene Fortentwicklung der medizinischen Infrastruktur verzichten?
Demografischer Wandel nicht berücksichtigt
Hinzu kommt der demografische Wandel. Versicherungssysteme, in denen Jüngere für Ältere aufkommen, wie bei der gesetzlichen Ausgestaltung, stoßen bereits heute an ihre Grenzen. In der alternden Gesellschaft wird sich dieses Problem der umlagefinanzierten Absicherung zunehmend verschärfen. Die privaten Versicherer treffen selbst Vorsorge. Hier gilt eine kapitalgedeckte Absicherung. Das mag auch Unwägbarkeiten bergen, aber beinhaltetet nicht die sich bereits realisierenden Gefahren, die der gesetzlichen Versicherung durch Überalterung drohen.
Die Ansätze der Bürgerversicherung – egal, welches konkrete Konzept vertreten wird, mit oder ohne Wahlrecht zum Wechsel – beruhen darauf, mehr Menschen in die gesetzliche Versicherung zu bringen. Das verspricht kurzfristig ein Mehr an finanziellen Mitteln, aber die dargestellten Impulse und Absicherungen werden fehlen. Und auch der demographische Wandel wird sich nicht aufhalten lassen – Rücklagenbildung wie in der privaten Versicherung ist bisher aber kein Thema.
Gleichzeitig wird es für die privaten Versicherer zunehmend schwieriger werden, die dargestellte Rolle des „Querfinanzierers“ zu übernehmen, bzw. die notwendigen Impulse zu setzen. Denn ihr Spielraum wird durch einen Systemwechsel deutlich eingeschränkt werden (weniger Marktanteil, fehlende Neuzugänge).
Zu befürchten bleibt, dass im Gesamtsystem Leistungen gestrichen oder durch Selbstbehalte teurer werden, dass die langfristige Finanzierbarkeit auf der Strecke bleibt (am demographischen Wandel wird sich nichts ändern) und dass zahlreiche Arztpraxen um das wirtschaftliche Überleben zu kämpfen haben.
Je nach gewünschtem Standard bleibt dann – auch nach einem Systemwechsel – zwar immer noch die Möglichkeit der Privatliquidation, oder der privaten Zusatzversicherung. Damit wäre aber auch eine Besserversorgung der finanziell besser Gestellten vorprogrammiert.
Damit läge eben jene Zwei-Klassen-Gesellschaft vor, die von den Vertretern der Bürgerversicherung gerade kritisiert wird, weil sie ihrer Auffassung nach durch die aktuell unterschiedlichen Versicherungssysteme gegeben ist.
PKV-Versicherte stammen aus der Mitte der Gesellschaft
Dabei ist es ist keineswegs so, dass es sich bei den derzeit Privatversicherten regelmäßig um besonders gut Verdienende handelt. Das ist für den öffentlichen Dienst selbstverständlich. Hier stammen rund 40 Prozent der Versicherten her (22,6 Prozent Beamte, 18,4 Prozent Pensionäre). Nur knapp 12 Prozent der privat Vollversicherten sind Angestellte mit Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze.
Teuerungen drohen
Neben der durch die äußeren Gegebenheiten vorprogrammierten Beitragssteigerungen drohen durch die derzeit konkret diskutierten Konzepte weitere Zusatzkosten. Ob nun Gesundheitsfonds mit reduziertem Rückfluss, oder Anhebung der Versicherungspflichtgrenze und Berücksichtigung von Spar- und Mieteinkünften zur Berechnung des Beitrags – es wird teurer für den Einzelnen.
…für Beamtinnen und Beamte
Das gilt insbesondere für Beamtinnen und Beamte. Müssen sie Beiträge in die gesetzliche Versicherung leisten, ist damit zu rechnen, dass die Belastung höher ausfällt als mit dem heutigen Beitragsaufwand für einen beihilfekonformen privaten Krankenversicherungsschutz. Auch Bestandsversicherte müssen – aufgrund der durch fehlendes Neugeschäft notwendigen Neuberechnung der Tarife – mit höheren Beiträgen rechnen.
…für die öffentlichen Haushalte
Für die öffentlichen Haushalte würde ein Systemwandel eine nichtprognostizierbare Mehrbelastung bedeuten. Der Spielraum für erforderliche Investitionen wäre geringer. Schon die Überführung ins neue System bedeutet – wie bei allen Neuerungen – zunächst einen enormen Mehraufwand an Sach-, Personal- und Verwaltungskosten. Gleichzeitig müsste aber auch das aktuelle System aufrechterhalten werden. Der Dienstherr kann sich seiner Fürsorgepflicht nicht entledigen. Das System der Beihilfe muss weiterhin bestehen bleiben. Insgesamt ist durch dieses Nebeneinander der Systeme ein Anstieg der Bürokratie vorprogrammiert.
Keine übereilte Umstellung!
Natürlich ist es im Sinne der Beamtinnen und Beamten, das bewährte und gut funktionierende System aus Beihilfe und privater Versicherung beizubehalten. Es ist aber gleichzeitig eine Frage des gesamtgesellschaftlichen Interesses, hier keine Schnellschüsse zuzulassen. Eine Bürgerversicherung ist nicht die Lösung für offene Punkte in der Gesundheitsversorge – oder gar für finanzielle Lücken. Sie bringt zunächst mehr Bürokratie, weniger Wettbewerb und damit weniger Innovationen und Fortschritt. Von einer langfristigen Kostenmehrung, teureren oder gekürzten Leistungen ganz abgesehen.
Die Haltung der Parteien
Im Vorfeld der Wahlen haben wir die größten Parteien hier in Bayern zu ihrer Einstellung zur Bürgerversicherung befragt. CSU, Freie Wähler und FDP sind klar dagegen. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke stehen in unterschiedlichen Ausgestaltungen für eine Bürgerversicherung.
Die kompletten Statements finden sich in diesem Artikel, außerdem weitere Positionen der Parteien zu Kernthemen des öffentlichen Dienstes unter www.bbb-nachrichten.de.
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